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„ABENDBLÄTTER“ VS. „MORGENBLÄTTER“
UND „ORPHEUS IN DER UNTERWELT“
Jacques Offenbach und
Johann Strauss –
eine konstruierte Rivalität
„Im Fasching 1864 taucht in
Wien ein hagerer, zappeli-
ger Mann auf – mächtiger
Adamsapfel, weitabstellende
braune Koteletts, stechende
blaue Augen hinter schwarz-
gerändertem Zwicker – in
Witzen sprühend: Jacques
Offenbach.“
So plastisch beschreibt Ernst
Décsey in seiner Johann
Strauß-Monografie von 1922
die Ankunft des Erfinders
der modernen Operette in
Wien - auch wenn Offenbach,
dem Paris und das musikver-
rückte Europa da schon längst auszuzeichnen. Warum nicht? Der
zu Füßen liegt, bereits 1863 Offenbach ist witzig, hat Ein- berühmte
eingetroffen ist: „Wien und fälle immer zur Hand und als- „Fremde“
Offenbach gefielen einan- bald ist ein Widmungswalzer Jacques
der glänzend“, befindet Déc- fertig: „Die Abendblätter“. Offenbach
sey, „drei Theater spielen seine
Operetten gleichzeitig. (…) Das Der Presse-Verein Concordia, „Wien und
war der Mann der Wiener Pres- 1859 und damit erst wenige Offenbach ge-
se: Bankier der Musik und ein Jahre zuvor gegründet, hatte fielen einander
geselliges Talent ersten Ranges; nichts gegen einen kleinen glänzend“
hätte er ein Festspielhaus ver- Aufreger einzuwenden, um die
langt, man hätte dafür agitiert. Aufmerksamkeit auf sich zu
Als der Presse-Verein Concor- lenken und konstruierte wohl
dia einen Ball gibt, bittet er mit Bedacht eine Rivalität zwi-
Offenbach um die Gunst, das schen dem Walzerkönig und
Fest durch einen neuen Walzer Lokalmatador Johann Strauss

